Goiânia

Beim Umzug des im Instituto Goiano de Radiotherapia wurde Ende 1985 ein Strahlentherapiegerät zurückgelassen [1]. Das Gericht in der Provinz Goias wurde über das Gerät informiert [2]. Die Strahlenquelle in dem Gerät enthielt 93 Gramm Caesiumchlorid, davon 19 g 137Cs [1] mit einer Halbwertszeit von ca. 30 Jahren, welches unter Emission von β-Strahlung zu metastabilem 136Ba zerfällt, welches wiederum mit einer Halbwertszeit von Gammastrahlung emittiert. Cäsiumchlorid ist wasserlöslich und haftet leicht an Kleidung und Haut, da es hygroskopist.

Ein Foto der radioaktiven Quelle, die den Unfall 1987 in Goiânia, Brasilien verursachte. Die Müllsammler Wagner Pereira (19) und Roberto Alves entwenden Teile eines ausgedienten Strahlentherapiegerätes, unter anderem den Bestrahlungskopf, welcher ca. 50 cm lang war und 130 kg wog. Der Wachmann war nicht vor Ort. Die Strahlenquelle in dem Gerät enthielt 93 Gramm Caesiumchlorid, davon 19 g 137-Cs. Die Cäsiumquelle wurde an einen Schrottplatz verkauft, dessen Besitzer die Schutzhülle aus Stahl und Blei aufschnitt. Im Inneren entdeckte er fasziniert das radioaktive Pulver, das in der Dunkelheit blau glitzerte und leuchtete. Über zwei Wochen lang verbreitete sich das Cäsiumchlorid unbemerkt. Etwa 250 Menschen wurden kontaminiert und vier starben im ersten Monat. Das Ereignis lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf die Frage der Sicherheitsstandards für radioaktive Quellen. Die daraus gezogenen Lehren prägen noch Jahrzehnte später nationale und globale Maßnahmen.

Ein Foto der radioaktiven Quelle, die den Unfall 1987 in Goiânia, Brasilien verursachte. Die Müllsammler Wagner Pereira (19) und Roberto Alves entwenden Teile eines ausgedienten Strahlentherapiegerätes, unter anderem den Bestrahlungskopf, welcher ca. 50 cm lang war und 130 kg wog. Der Wachmann war nicht vor Ort. Die Strahlenquelle in dem Gerät enthielt 93 Gramm Caesiumchlorid, davon 19 g 137-Cs. Die Cäsiumquelle wurde an einen Schrottplatz verkauft, dessen Besitzer die Schutzhülle aus Stahl und Blei aufschnitt. Im Inneren entdeckte er fasziniert das radioaktive Pulver, das in der Dunkelheit blau glitzerte und leuchtete. Über zwei Wochen lang verbreitete sich das Cäsiumchlorid unbemerkt. Etwa 250 Menschen wurden kontaminiert und vier starben im ersten Monat. Das Ereignis lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf die Frage der Sicherheitsstandards für radioaktive Quellen. Die daraus gezogenen Lehren prägen noch Jahrzehnte später nationale und globale Maßnahmen. (Goiânia, Brasilien, 6. Oktober 2007) © IAEA, CC BY-SA 2.0

4.4.1987 Einer der Eigentümer wurde polizeilich daran gehindert, die Strahlenquelle aus dem Institut zu holen. Die Eigentümer warnten in Briefen die brasilianische nationale Nuklearenergiekommission vor dem Risiko, aber konnten per Gerichtsbeschluss nicht selbst vor Ort tätig werden [2].

13.9.1987 Müllsammler Wagner Pereira und Roberto Alves entwenden aus dem zum Teil abgerissenen Gebäude den Bestrahlungskopf [3]. Der Wachmann war nicht vor Ort. Auf dem Grundstück von Roberto Alves zerlegten sie den Bestrahlungskopf und erlitten Verbrennungen durch die Strahlung. Beide mussten sich zudem übergeben [3]

15.9. Perreira ging zum Arzt, da er unter Schwindel, Durchfall und einer geschwollenen Hand litt. Es wurde eine Allergie diagnostiziert [3]

18.9. Alves gelang es, die Kapsel zu punktieren. Es sah ein tief blaues Leuchten und konnte mit einem Schraubenzieher einen Teil des Materials entfernen [3]. Da sie die Quelle nicht weiter zerlegen konnten, verkauften die Müllsammler sie für 1600 cruzados [4] an den Schrotthändler Dvair Alves Ferreira, dem in der Nacht das blaue Leuchten auffiel, woraufhin er die Kapsel in sein Wohnhaus brachte [34]. 

21.9. Einem Freund Ferreiras gelang es, die Quelle weiter zu öffnen, und Ferreira führte die Strahlenquelle Freunden und Familie vor [3], ohne zu wissen, worum es sich handelte – und verschenkte Körner des Materials. Seine Frau erkrankte an diesem Tag und ließ sich untersuchen, wobei ebenfalls eine Allergie diagnostiziert wurde [3].

24. 9. Ferreiras Bruder Ivo malte sich mit dem Cäsiumchlorid ein Kreuz auf sein Hemd [5], und verschleppte das Material in sein Haus. Ivos Tochter Leide Alves Ferreira nahm Cäsiumchlorid mit dem Essen auf [3]28.9. Ferreiras Frau Maria Gabriela fiel die gleichzeitige Erkrankung vieler Freunde auf. Sie verdächtigte den Behälter, holte ihn von dem anderen Schrotthändler zurück, packte ihn in einem Lagersack und brachte diesen zusammen mit einem Angestellten ihres Mannes in das Krankenhaus Vigilancia Sanitaria [3]. Ein Arzt vermutete Radioaktivität und brachte den Behälter in den Hof, da es kein Messgerät im Krankenhaus gab [3].

29.9. Der Physiker Walter Mendes Ferreira wurde zur Hilfe gerufen und dachte, sein von NUCLEBRAS (einer Regierungsorganisation) geliehene Szintillisations-Zähler wäre defekt [3], als dieser unabhängig von der Richtung, in die es gehalten wurde, voll ausschlug. Er ging, um ein zweites Gerät zu leihen. Währenddessen riefen die Ärzte die Feuerwehr und Walter Mendes Ferreira verhinderte bei seiner Rückkehr nur knapp, dass die Feuerwehr das Cäsium in einem Fluss entsorgte [3]. Nach der Strahlenmessung ließ er das Krankenhaus evakuieren [3]. Zusammen mit dem Arzt gingen sie zu Ferreiras Schrottplatz und stellten dort ebenfalls weitreichende Kontamination fest. Mit Mühe überredeten sie die Anwesenden, den Schrottplatz zu evakuieren [3].

Die Regierung initiierte ein Notfallprogramm. 112 800 Personen wurden untersucht, von diesen mussten 249 in Quarantäne verbracht werden [6]. Ferreiras Nichte Leide Alves Ferreira starb an Strahlenkrankheit, ebenso seine Frau Maria Gabriela Ferreira [3]. Die Beisetzung Leides in einem Bleisarg fand unter Massenprotesten statt, da die Bevölkerung eine Kontamination des Bodens fürchtete [7]. Wenige Tage später starben zwei weitere Mitarbeiter Ferreiras.Insgesamt waren 85 Häuser kontaminiert worden, von denen sieben vollständig abgerissen werden mussten [38]. In Gärten und Parkanlagen wurde zum Teil die oberste Erdschicht abgetragen [38]. Die Dekontaminationsarbeiten dauerten bis Januar 1988 [9].

1987 wurde ein Stück einer alten radioaktiven Quelle an diesen Schrottplatz in der Rua 19 in Goiânia, Brasilien, verkauft. Glücklicherweise wurde es entdeckt, bevor es eingeschmolzen und recycelt wurde.

1987 wurde ein Stück einer alten radioaktiven Quelle an diesen Schrottplatz in der Rua 19 in Goiânia, Brasilien, verkauft. Glücklicherweise wurde es entdeckt, bevor es eingeschmolzen und recycelt wurde. © IAEA, CC BY 2.0 Deed. Bildnachweis: Petr Pavlicek/IAEA

Wikipedia schreibt [10]: „Der Unfall wurde aufgrund seines Ausmaßes an Kontamination durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) als bisher größter radiologischer Unfall weltweit eingestuft und auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) mit Stufe 5 (von 7) eingestuft.“

Quellenangabe

[1] Mais Goías vom 13.9.2021, Jessica Santos, „Césio-137 em Goiânia: maior acidente radiológico do mundo completa 34 anos“
https://www.maisgoias.com.br/cesio-137-em-Goiânia-maior-acidente-radiologico-do-mundo-completa-34-anos

[2] Godinho, Iúri (February 8, 2004). „Os médicos e o acidenteradioativo“. Jornal Opção.
https://web.archive.org/web/20040309113338/http://www.jornalopcao.com.br/index.asp?secao=Op%E7%E3oCultural&subsecao=Suplementos&idjornal=67

[3] The Radiological Accident in Goiânia, Bericht der International Atomic Energy Agency, Wien 1988. Tabelle II. Chronology. Seiten 23-29.
https://www-pub.iaea.org/mtcd/publications/pdf/pub815_web.pdf

[4] Lars Westmann, Jag Har Cesium I Blodet. Dokumentarfilm 1986.
https://www.youtube.com/watch?v=Et0nVqlXATw

[5] Goiânia accident. 
https://www.chemeurope.com/en/encyclopedia/Goi%C3%A2nia_accident.html

[6] The Radiological Accident in Goiânia, Bericht der International Atomic Energy Agency, Wien 1988. Tabelle II. Chronology. Seite 36.
https://www-pub.iaea.org/mtcd/publications/pdf/pub815_web.pdf

[7] „Memorial Césio 137“. Greenpeace.
https://web.archive.org/web/20080126080434/https://www.greenpeace.org.br/nuclear/cesio/flash_cesio.html

[8] Carlos E. de Almeida, Jacob van Dyk (Editor), True Tales ofMedical Physics, Springer 2022. Kapitel 14, The Goiânia Accident: A Candid and Personal Experience, Seiten 317-334.
Link: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-030-91724-1.pdf

[9] The Radiological Accident in Goiânia, Bericht der International Atomic Energy Agency, Wien 1988. Tabelle II. Chronology. Seite 54.
https://www-pub.iaea.org/mtcd/publications/pdf/pub815_web.pdf

[10] Wikipedia: Goiânia-Unfall
https://de.wikipedia.org/wiki/Goi%C3%A2nia-Unfall

Foto von Dr. Andrea Thorn

Andrea Thorn

Dr. Andrea Thorn ist Spezialistin für die Strukturlösung mit kristallographischen Methoden und Kryo-Elektronenmikroskopie.

Sie hat in der Vergangenheit zu Programmen wie SHELX, ANODE und (etwas) PHASER beigetragen. Ihre Arbeitsgruppe entwickelt die Diffraktionsdaten-Analysesoftware AUSPEX, ein neuronales Netzwerk zur Sekundärstrukturannotation in Kryo-EM Dichtekarten (Haruspex) und ermöglicht anderen Wissenschaftlern die Lösung schwieriger Strukturen.

Andrea hat eine Leidenschaft für Strukturbiologie und ist gut darin, Leute zusammenzubringen. Deswegen (unter Anderem) ist sie die Hauptkoordinatorin dieses Projektes.