Von Janina Albrecht & Jakob Mannheimer
Persönliche Patzer
Wann ist bei Ihnen das letzte Mal etwas richtig schief gegangen? Letzte Woche, als Sie Zahnpasta und Bodylotion verwechselt haben und sich daraufhin eine neue Zahnbürste besorgen mussten? Oder ist Ihnen sogar etwas widerfahren, das auch einen Einfluss auf Ihr Umfeld hatte? Wir alle machen regelmäßig Fehler, manche gravierender als andere. An der abendlichen Flaschenverwechslung leiden maximal Ihre Zähne, aber was passiert, wenn durch menschliche Fehler ganze Unfälle ausgelöst werden? Laut der NHTSA gehen beispielsweise 94% aller Autounfälle auf menschliche Fehler zurück [1]. Eine Zahl, bei der man sich insbesondere zwei Sachen fragen kann: Wieso passieren solche Fehler und kann man ihnen auch etwas Positives abgewinnen?

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Ein Fehler kann anhand von drei Kriterien definiert werden [2]:
- Fehler entstehen nur in Verbindung mit zielorientiertem Verhalten
- Durch einen Fehler wird ein Teilziel nicht erreicht
- Es ist nur dann ein Fehler, wenn man ihn potenziell hätte vermeiden können
Laut dieser Definition bezeichnet man sowohl kleine Alltagspatzer wie das Zahnpasta-Fiasko, als auch den Super-GAU von Tschernobyl als einen Fehler. Aber wieso sind Fehler so allgegenwärtig?
Warum wir Fehler machen
Die Ursachen für menschliche Fehler sind vielfältig. Wie Badke-Schaub et al. im Buch “Human Factors” erklären [3]: Im Arbeitsumfeld entstünden Fehler durch äußere Faktoren wie Lärm, Arbeitszeiten und Geräteausstattung und durch innere Faktoren wie schlechte Aufmerksamkeit durch Krankheit oder Langeweile. Das ist besonders dann kritisch, wenn die fehlermachende Person einen sicherheitsrelevanten Job ausführt.
Wo und wie wir Fehler machen
Die Tatsache, dass wir Fehler machen, wie gravierend sie auch sind, ist essenziell. Gerade für die frühe Kindesentwicklung ist es wichtig, Fehler zu machen und machen zu dürfen. Die Psychologin Prof. Dr. Eva Asselmann betont in einem Interview mit der AOK [4]:
“Schauen wir uns Babys an: Beim Laufen lernen fallen sie Hunderte Male auf den Po. Würden sie den Frust empfinden, den Fehlversuche bei vielen Erwachsenen auslösen, würden wir heute vermutlich nicht aufrecht gehen.”
Wir alle haben also schon tausende Fehler begangen, um an den Punkt zu kommen, an dem wir jetzt sind: Sprechende, laufende, lesende Individuen zu sein.
Und auch die Generationen vor uns mussten etliche Fehler begehen, um Leben zu lernen. Damit das Überleben der Gruppe gesichert war, musste ein Individuum durch Probieren herausfinden, ob der gesammelte Pilz giftig war oder nicht. So können Fehler einzelner Personen auch positive Effekte auf das Umfeld haben. Nicht zuletzt denke man an Alexander Fleming, der durch das Nicht-Abwaschen seiner Petrischalen über den Urlaub hinweg das Antibiotikum Penicillin entdeckte [5].

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Biologisch und kulturell betrachtet sind wir sogar darauf programmiert, Situationen fehlerhaft einzuschätzen [6]. Oft interpretieren wir eine Gefahr in eine Situation hinein, von der nicht zwangsweise eine ausgeht. So auch beim mulmigen Gefühl, das man beim nächtlichen Spaziergang im Dunkeln bekommt. (Über-)Vorsicht hat sich also durchgesetzt, weil es weniger kostspielig ist, von einer Gefahr auszugehen, wo keine ist, als sich in einer Gefahrensituation vermeintlich in Sicherheit zu wiegen.
Fehler – und was jetzt?
Egal welche Art von Fehler es auch sein mag: Am wichtigsten ist es, dass aus diesem Fehler auch Konsequenzen folgen. Insbesondere bei gravierenden, auf menschliches Versagen zurückzuführenden Unfällen ist es wichtig, die Unfallanalyse nicht einfach mit dem Fazit “Ursache: Menschliches Versagen” zu beenden. Laut Sidney Dekker [7] ist menschliches Versagen nicht die Begründung für einen Unfall, sondern erfordert eine Begründung. Ist menschliches Versagen als Ursache identifiziert worden, sollte es höchste Priorität sein, systemische Veränderungen vorzunehmen, die dafür sorgen, dass dieser menschliche Fehler in Zukunft nicht noch einmal passiert.
In diesem Sinne sollten Sie vielleicht in Betracht ziehen, Ihre Bodylotion eine Etage tiefer in die zweite Schublade zu stellen.
Quellenangabe:
Textquellen:
[2] Zapf, D. et al. (1999). Fehler und Fehlermanagement. Arbeits- und Organisationspsychologie, pages 398-409.
https://www.researchgate.net/publication/241856257
[3] Badke-Schaub, P. et al. (2012). Human Factors. Psychologie sicheren Handelns in Risikobranchen. Springer, pages 55-58. ISBN 978-3-642-19885-4.
[4] AOK Gesundheitsmagazin. (2024, August 9). Fehler machen klug: Interview mit der Psychologin Prof. Dr. Eva Asselmann. https://www.aok.de/pk/magazin/familie/kinder/fehler-machen-erlaubt-wachstumschancen-fuer-kinder/
[5] Penicilline (last edited: 2024, October). In Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Penicilline
[6] Kühnen, U. (2015). Tierisch kultiviert – Menschliches Verhalten zwischen Kultur und Evolution. Springer, pages 129-136. DOI https://doi.org/10.1007/978-3-662-45366-7
[7] Dekker, S. (2014). The Field Guide to Understanding Human Error. CRC Press. DOI https://doi.org/10.1201/9781317031833

Janina Albrecht
Janina Albrecht macht ihren M.Sc. Physik an der Universität Hamburg. In ihrem Bachelor fokussierte sie sich auf Biomedizinische Physik.
Dies ist der erste, von ihr verfasste Blogpost, entstanden im Rahmen der Vorlesung „Anthropogene Unfälle“ an der Uni Hamburg.

Jakob Mannheimer
Jakob Mannheimer macht seinen Bachelor of Science in Biologie an der Universität Hamburg und studiert momentan im fünften Semester.
Seine wissenschaftlichen Interessensgebiete sind Ökologie, Verhaltensökologie und Naturschutz.
Dieser Blog ist im Rahmen der Vorlesung „Anthropogene Unfälle“ entstanden.
Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn, Florian Mischke und Pairoh Seeliger.