Was passiert, wenn ein Siedlungsgebiet direkt an einer Chemiemülldeponie gebaut wird? Das ist eine Frage, das die Bewohner am Love Canal in den USA sich in den späten 1970er Jahren stellen mussten – einem 6,5 ha Gebiet in der Stadt Niagara Falls im Bundeststaat New York [1].
Im Jahr 1890 entwickelte William T. Love einen Plan für einen Kanal zwischen den beiden Armen des Niagara River. Dieses Vorhaben geriet jedoch in den folgenden Jahren ins Stocken [1]. Der geplante Kanal sollte dazu dienen günstige Stromerzeugung durch ein Wasserkraftwerk zu ermöglichen [1]. Zu der Zeit war Wasserkraft wichtig, weil Industrie noch nah an Kraftwerken platziert sein musste. Das lag daran, dass Gleichstrom – der gängige Strom zu der Zeit – nur über kurze Distanzen transportiert werden konnte [2]. Allerdings verlor das geplante Projekt mit der Durchsetzung des Wechselstroms an Bedeutung [2].

Zu sehen ist eine Satellitenaufnahme des Stadtteils. Die freie Fläche in der Mitte ist das Love Canal Gebiet selber. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war der Großteil der betroffenen Häuser schon abgerissen und das Gebiet gesichert und abgezäunt.
© Public Domain, US Geological Survey – Google Earth, 27.03.1995
Am Anfang der 1940er Jahre begann das US-amerikanische Chemieunternehmen Hooker Electrochemical Company ihren chemischen Abfall in diesem Gebiet zu deponieren [1]. Bis Beginn der 1950er nutzte auch die Stadt Niagara Falls das Gebiet als städtische Müllhalde [1].
Im April 1953 verkaufte die HEC das Gebiet an die Niagara Falls Schulbehörde, um den Bau einer öffentliche Grundschule zu ermöglichen [1]. Der Plan war, die Grundschule auf dem mittleren Drittel des Landes zu errichten [1]. Außerdem wurde um das Gebiet des Love Canals eine neue Wohnsiedlung errichtet [1]. Alle unmittelbar an die Deponie angrenzenden Häuser waren 1972 fertiggestellt [1].
In den 1970er Jahren häuften sich die Beschwerden der Anwohner am Love Canal über chemische Gerüche [1]. Außerdem traten auffällig häufig mysteriöse Krankheitsfälle auf und nach starkem Niederschlag setzte sich häufig ein öliger Rückstand in den Kellern der angrenzenden Wohnhäuser ab [1].
Eine protestierende Anwohnerin des Love Canal Gebiets
© Public Domain, EPA

Im Jahr 1978 gelang es den Anwohnern endlich, die nötige Aufmerksamkeit des Bundesstaats New York auf ihre Situation zu lenken [1]. Die Ausganglage war wie folgt: In unmittelbarer Nähe zum Kanal befanden sich 99 Häuser in denen 230 Erwachsene und 134 Kinder lebten [1]. Außerdem gingen 410 Schüler auf die Grundschule [1]. Insgesamt lebten in dem betroffenen Bereich 2.618 Personen [1]. Im April erklärte der New York Gesundheitskommissar die Gegend zu einem ernsthaften Gesundheitsrisiko [1]. Nur wenige Monate später wurde eine behördenübergreifende Task Force aufgestellt [1].
Diese Task Force hatte drei grundlegende Aufgaben [1]:
- Die Umsiedlung der betroffenen Familien (durch das Verkehrsministerium)
- Der Bau eines Entwässerungssystems zur Verhinderung weiterer Verbreitung giftiger chemischer Abfälle aus der Deponie (durch Niagara Falls und das Department of Environmental Conservation)
- Die Fortführung von Probenentnahmen, Kontrollen, toxikologischen und epidemiologischen Gesundheitsstudien (durch das Gesundheitsministerium)
Eine der Chemikalien, die während der Untersuchungen im Love Canal gefunden wurden, war Dioxin (genauer 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzoparadioxin) [1]. Dieses Nebenprodukt entsteht bei der Herstellung von Trichlorphenolen, die unter anderem als Fungizid, Herbizid, Insektizid, Desinfektionsmittel, Entlaubungsmittel und zur Konservierung von Leimen benutzt werden [5]. Dennoch bleibt unklar, ob Dioxin die größte Gesundheitsgefahr am Love Kanal war [1].

Die Strukturformel von 2,3,7,8 -Tetrachlorodibenzoparadioxin.
Die Sanierungsarbeiten am Love Canal überstiegen die Mittel, die New York bereitstellen konnte. Deswegen bewillgte der US-Kongress im Jahr 1980 Sofortmaßnahmen in Form von bis zu $20 Mio. für die Umsiedlung der Familien im Love Canal Gebiet [1].
Sanierungsmaßnahmen in Zahlen1
Die Regierung erwarb einen großen Teil der Häuser (257 von 550) und 132 Familien, die zuvor in dem Neubaugebiet gelebt hatten, wurden dauerhaft umgesiedelt [1].
Mehr als 640 Einwohner leiteten rechtliche Verfahren gegen die Hooker Electrochemical Company ein [1]. Die Forderungen in diesen Klagen beliefen sich auf Schadenersatzsummen im Rahmen $12 bis $14 Milliarden [1].
Fazit
Eine der bedeutendsten Konsequenzen des Love Canal war die Aufstellung des Superfund durch die EPA2 und die zugehörige Superfund-Legislatir. Der Superfund oder genauer der Comprehensive Environmental Response, Compensation, and Liability Act (CERCLA) ist ein Gesetz zur Beseitigung gefährlicher Substanzen [3]. Dem Gesetz nach sollte der Superfund primär durch eine Verbrauchsteuer für Öl- und Chemikaliengewerben finanziert werden.
Fußnoten
Quellen
[1] NYS Department of Health. (2005, October). Love Canal: A Special Report to the Governor & Legislature: April 1981. Retrieved December 7, 2024, from https://www.health.ny.gov/environmental/investigations/love_canal/lcreport.htm
[2] Wikipedia contributors. (2024, November 10). War of the currents. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 15:12, December 9, 2024, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=War_of_the_currents&oldid=1256639905
Durchaus ein sehr interessantes Thema – die Geschichte der Elektrizität in den USA
[3] Phil Wisman (1985, November). EPA History (1970-1985). Retrieved December 8, 2024, from https://www.epa.gov/archive/epa/aboutepa/epa-history-1970-1985.html
[4] Wikipedia contributors. (2024, November 25). Superfund. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 14:51, December 9, 2024, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Superfund&oldid=1259541790
[5] Wikipedia contributors. (2024, October 29). 2,4,6-Trichlorophenol. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 14:17, December 21, 2024, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=2,4,6-Trichlorophenol&oldid=1254006652

Nick Kalogerakis
Nick Kalogerakis studiert seit 2023 Physik an der Uni Hamburg und besuchte im Wintersemester 2024/25 das Seminar Anthropogene Unfälle in der Physik.
Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn und Florian Mischke.