Die Implosion der OceanGate Titan

Bild vom Wrack der Titan, aufgenommen mit einem Tauchroboter
Quelle: @U.S. Coast Guard, U.S. Department of Homeland Security

Die Faszination für die Tiefsee und historische Wracks zieht Abenteurerlustige und Forschende aus der ganzen Welt zum Wrack der Titanic. Das Unternehmen OceanGate ermöglichte Privatpersonen eine einwöchige Expedition zur Titanic mit ihrem Tauchboot „Titan“.

Zwei Jahre nach dem Start des Angebots, am Morgen des 18. Juni 2023 verlor das Mutterschiff „Polar Prince“ allerdings den Kontakt zu dem hinabsinkenden Tauchboot. Nach vier Tagen intensiver Such- und Rettungsaktion wurden Trümmerteile des Tauchboots nur 500m von der Titanic in 3778m Tiefe am Meeresboden gefunden[1]. Dieser Vorfall sorgte weltweit für Aufsehen und warf natürlich die Frage auf: „Wie konnte das passieren?“

You know, at some point, safety is just pure waste
Stockton Rush, 2022[2]
Schematischer Aufbau der Titan
Quelle: @Mliu92 / Wikimedia

Schon bald wurde klar, dass dies kein plötzliches Unglück war, sondern das absehbare Ergebnis einer langen Reihe an Fehlentscheidungen: Um dem Druck in 3800m Tiefe standzuhalten (ca. 380kg/cm2), werden für Tauchboote üblicherweise sphärische Druckkörper aus Metall verwendet, da diese durch ihre Symmetrie und Elastizität besonders belastbar sind[3].
Die OceanGate Titan bestand allerdings aus vier unterschiedlichen Elementen: Ein zylindrischer Druckkörper aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff, zwei Titankuppeln, die an den beiden Enden des Druckkörpers angeklebt wurden und einer Plexiglasscheibe, welche in eine der Titankuppeln eingebaut war[4].

Die genaue Ursache der Implosion ist bislang nicht offiziell bekannt. Allerdings ist anzunehmen, dass der zylindrische Druckkörper versagte[5]. Akustische Sensoren hatten bereits vor der letzten Tauchfahrt laute Knallgeräusche registriert, die auf brechende Klebeschichten zwischen den Kohlenstofffasern hindeuteten[6]. Bei der Untersuchung der Wrackteile zeigten sich zudem poröse Stellen und unsaubere Verarbeitung im Kunststoff[7].

Analyse der Überreste des Kunststoffdruckkörpers
Quelle: @U.S. Coast Guard, U.S. Department of Homeland Security

Bereits 2017, vor Start der Expedition, äußerte der damalige verantwortliche Entwickler der OceanGate Titan, David Lochridge, seine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Qualitätskontrolle des Tauchboots[8]. Im darauffolgendem Jahr schlossen sich Experten der Tauchbootindustrie diesen Bedenken an und verfassten eine Warnung in einem Brief an den CEO von OceanGate, Stockton Rush[9]. Diese Warnungen wurden ignoriert und der verantwortliche Entwickler wurde entlassen[8]. Derzeit führt die US-Küstenwache eine Untersuchung gegen OceanGate[1]durch; da sich Stockton Rush allerdings unter den fünf Todesopfern der Implosion befindet, wird er keine rechtlichen Konsequenzen mehr tragen müssen.

I’d like to be remembered as an innovator. I think it was General MacArthur who said: ‘You are remembered for the rules you break’. And I’ve broken some rules to make this. I think I’ve broken them with logic and good engineering behind me. Carbon fibre and titanium? There’s a rule you don’t do that. Well, I did.
Stockton Rush, 2021[10]

Die tragische Implosion der OceanGate Titan verdeutlicht, welche lebensgefährlichen Folgen entstehen können, wenn Sicherheitsstandards missachtet und Warnungen ignoriert werden. Das Streben nach Innovation und Pioniergeist darf insbesondere in Umgebungen, in denen der kleinste Fehler katastrophale Konsequenzen hat, niemals auf Kosten der Sicherheit gehen.


Quellenangaben:

[1] U.S. Coast Guard, U.S. Department of Homeland Security, (2024), Coast Guard Marine Board of Investigation: Titan Submersible Incident Fact Sheet, https://media.defense.gov/2024/Sep/20/2003551182/-1/-1/0/FACT%20SHEET-%20TITAN%20MBI_V2.PDF

 [2] CBS Sunday Morning, (2023), Inside the OceanGate Titan tragedy, YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=1eObme9OUr8&t=418s&ab_channel=CBSSundayMorning

[3] Praveen SS, Vijayan A, Babu S et al, (2023), The Science Behind Titan Submersible Implosion – Insights From Physicist, J Adv Res Appl Mech Compu Fluid Dyna 2023; 10(2): 1-5, Seite 4, https://www.advancedresearchpublications.com/image/catalog/samplecopy/publish-jaramcfd.pdf

[4] Kakkad D, Bhuva U R, (2023), Analysis of Sinking Of the “Titan” Submersible In Accordance With Carbon Fibre: A Case Study, International Journal of Research in Engineering and Science, Volume 11 Issue 9, Seite 292

[5] U.S. Coast Guard, Kemper Engineering Services, (2024), Summary of preliminary findings regarding OceanGate and loss the Titan Submersible, https://media.defense.gov/2024/Oct/22/2003569223/-1/-1/0/CG%20108%20TITAN%20MBI%20KEMPER%20TESTIMONY%20FINAL_UPDATED%20(002)_REDACTED.PDF

[6] U.S. Coast Guard, U.S. Department of Homeland Security (2024), Materials – Group Chair’s Factual Report 24-012, Seite 34-36, https://data.ntsb.gov/Docket/?NTSBNumber=DCA23FM036

[7] U.S. Coast Guard, U.S. Department of Homeland Security, (2024), Materials – Group Chair’s Factual Report 24-011, Seite 33 & 56, https://data.ntsb.gov/Docket/?NTSBNumber=DCA23FM036

[8] ABC News 4, (2024), Former OceanGate Operations Director explains how he was IGNORED on safety concerns, YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=gwY-tNZMi2E&ab_channel=ABCNews4

[9] U.S. Coast Guard, Marine Technology Society, (2024), CG-068 Marine Technology Society Letter to OceanGate Inc. March 27, 2028 readacted.pdf, https://media.defense.gov/2024/Sep/20/2003551144/-1/-1/0/CG-068%20MARINE%20TECHNOLOGY%20SOCIETY%20LETTER%20TO%20OCEANGATE%20INC.%20MARCH%2027,%202018_REDACTED.PDF

[10] alanxelmundo, (2021), Mi expedición al TITANIC parte 1/4 | Alan por el mundo, YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=uD5SUDFE6CA&t=1445s&ab_channel=alanxelmundo

Giulia Schmidt

Giulia Schmidt macht seit 2021 ihren Bachelor of Science in Physik an der Universität Hamburg. Dieser Blogpost ist im Rahmen des Seminars „Anthropogene Unfälle in der Physik“ entstanden.

Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn und Florian Mischke.

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