Massenpanik in Mina: Ein dunkles Kapitel der Hadsch-Geschichte

Massenpaniken, bei denen unkontrollierte Menschenmengen in gefährliche Situationen geraten, sind leider kein seltenes Phänomen. Sie treten insbesondere bei großen religiösen Versammlungen oder öffentlichen Ereignissen auf und können zu folgenschweren Katastrophen führen.

Am 24. September 2015 ereignete sich während der Hadsch-Pilgerfahrt1 in Mina, Saudi-Arabien, eine verheerende Massenpanik, die als eine der tödlichsten Katastrophen in der Geschichte der Hadsch gilt [1]. 
Die Tragödie fand um 9:00 Uhr Ortszeit an der Kreuzung der Straßen 204 und 223 statt, die zur Jamarat-Brücke führen (siehe Detaillierte Ansicht auf der Karte), als zwei große Pilgergruppen aus verschiedenen Richtungen aufeinandertrafen, was zu einer gefährlichen Überfüllung führten [2].

Die Karte zeigt Mekka und Mina in Saudi-Arabien, zentrale Orte der Hajj-Pilgerreise.
Oben links ist eine Übersichtskarte der Region, die Mekka und Mina zeigt.

Wichtige Markierungen:
Grand Mosque (Al-Masdschid al-Harām): Das größte und heiligste Heiligtum des Islam in Mekka, das die Kaaba beherbergt.
Jamarat-Säulen: Diese Säulen sind Teil des rituellen Steinigungsrituals während der Hajj in Mina. Die Jamarat-Brücke wurde gebaut, um den Pilgerstrom zu lenken und Staus zu vermeiden.
Mina: Ein Tal östlich von Mekka, wo Pilger während der Hajj zelten und rituelle Handlungen wie das Steinigungsritual durchführen.

Detaillierte Ansicht (unten):
Die Jamarat-Säulen und -Brücke sind hier deutlich zu erkennen.
Standort der Massenpanik: Markiert in der Nähe von Straße 204 und Straße 223.

Quelle: BBC

Folgen

Die genaue Zahl der Todesopfer ist umstritten. Während Saudi-Arabien offiziell 769 Tote und 934 Verletzte meldete, gehen davon unabhängige Schätzungen von deutlich höheren Zahlen aus. Zum Beispiel die Associated Press2 berichtete von mindestens 2.411 Toten. Diese Zahl macht diese Tragödie jedoch zum schwerwiegendsten Unglück dieser Art seit 1990, als in einem anderen Vorfall an derselben Stelle 1.426 Pilger in einer Massenpanik ums Leben kamen [3].
Die meisten Opfer stammten aus dem Iran, gefolgt von Mali und Nigeria [3].

Die Krankenhäuser in der Region waren stark überlastet, was vermutlich zu einer höheren Zahl an Todesopfern führte, da viele Verletzte nicht rechtzeitig behandelt werden konnten. Die unzureichende medizinische Versorgung und die chaotischen Evakuierungsmaßnahmen verschärften die Situation zusätzlich [1].

Politisch führte die Katastrophe zu erheblichen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, da etwa 464 der Opfer iranische Pilger waren. Der Iran warf Saudi-Arabien organisatorisches Versagen vor und forderte eine unabhängige Untersuchung. Diese Vorwürfe belasteten das ohnehin angespannte Verhältnis der beiden Länder [2].

Zudem rief die Katastrophe weltweit Forderungen nach besseren Sicherheitsmaßnahmen für zukünftige Hadsch-Pilgerfahrten hervor. Internationale Menschenrechtsorganisationen und betroffene Länder drängten auf eine bessere Kontrolle der Menschenmengen, effizientere Evakuierungspläne und eine engere Zusammenarbeit zwischen den saudischen Behörden und den Herkunftsländern der Pilger. Saudi-Arabien reagierte mit Modernisierungen, wie dem Ausbau der Jamarat-Brücke und der Einführung elektronischer Kontrollsysteme. Trotzdem bleibt die Hadsch aufgrund der enormen Menschenmassen eine große logistische Herausforderung [4].

Ursachen

Die Massenpanik in Mina 2015 hatte mehrere Ursachen. Dazu gehörte das unzureichende Crowd-Management3 sowie extreme Hitze und Erschöpfung der Pilger. Auch die Nichteinhaltung von Zeitplänen und Anweisungen trug zur Verwirrung bei [1].

Schlechtes Crowd-Management führte zu unkontrollierten Menschenströmen und Engpässen. In überfüllten Bereichen kann bereits ein kleiner Auslöser, wie Stolpern oder Schubsen, eine Kettenreaktion auslösen, bei der Menschen stürzen und erdrückt werden.
Die extreme Hitze und Erschöpfung schwächten die Pilger zusätzlich, wodurch bei der Hadsch Kreislaufzusammenbrüche häufiger auftreten. Zusammenbrechende Personen blockieren Wege, was die Dichte der Menschenmenge erhöhte und die Panik verstärkte. Die Missachtung von Zeitplänen sorgte dafür, dass zu viele Pilger gleichzeitig aufeinandertrafen. Dies führte zu Verwirrung und chaotischen Bewegungen, was die Lage weiter eskalieren ließ.

Die große al-Harām-Moschee von Mekka während einer Hadsch-Pilgerfahrt.

Quelle: Crowd Dynamics

Verhaltensweisen in einer Massenpanik

Gerät man in eine Situation, die in eine Massenpanik ausarten könnte, ist besonnenes Verhalten entscheidend. Folgende Hinweise können helfen, die eigene Sicherheit zu erhöhen [5]:

  1. Frühzeitiges Erkennen der Gefahr:
    Auf die Dichte der Menschenmenge achten. Bis zu vier Personen pro Quadratmeter gelten als noch sicher, alles darüber hinaus kann kritisch werden. Sobald die Bewegungsfreiheit spürbar eingeschränkt ist, steigt das Risiko.
  2. Ruhe bewahren:
    Versuchen, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu geraten. Lautes Schreien vermeiden, da dies unnötig Energie kostet und wertvollen Sauerstoff verbraucht.
  3. Positionierung in der Menge:
    Möglichst in der Mitte der Menge halten und feste Hindernisse meiden wie Wände, Zäune oder Säulen, an denen man leicht eingeklemmt werden könnte.
  4. Sturz vermeiden:
    Ein Sturz in einer dichten Menge kann gefährlich sein, da man leicht von anderen versehentlich getreten oder niedergetrampelt wird.
    • Die Arme vor der Brust verschränkt halten, um die Atemwege zu schützen, und Füße leicht versetzt stellen, ähnlich wie in einer Boxerhaltung, um einen stabilen Stand zu gewährleisten.
    • Im Falle eines Sturzes, versuchen, sofort in eine fötale Position auf die linke Seite zu rollen und den Kopf mit den Armen zu schützen. Diese Position minimiert das Verletzungsrisiko.
  5. Kommunikation und Körpersprache:
    Ruhig sprechen, langsam und deutlich. Selbstbewusstes Auftreten kann helfen, die Situation zu beruhigen. Oft wirkt ein ruhiger Mensch auch auf andere stabilisierend.
  6. Mit der Menge bewegen:
    Versuchen, sich mit dem Fluss der Menschenmenge zu bewegen, anstatt dagegen anzukämpfen. Plötzlicher Widerstand kann gefährlich sein und das Risiko erhöhen, zu stürzen oder verletzt zu werden.
  7. Fluchtwege erkennen:
    Ausschau halten nach möglichen Ausgängen oder weniger überfüllten Bereichen. Auch Zwischenräume, in denen sich die Dichte der Menge verringert, können wichtige Rückzugsorte sein.
  8. Hilfe leisten – aber mit Bedacht:
    Wenn möglich, können klare Anweisungen oder eine helfende Hand anderen in der Nähe Unterstützung bieten, ohne dabei das eigene Risiko zu erhöhen.

Diese Verhaltensweisen können in einer bedrohlichen Situation den Unterschied machen und dazu beitragen, sicher zu bleiben.

Fazit

Die Mina-Massenpanik von 2015 hat gezeigt, wie lebenswichtig effektives Crowd-Management, klare Kommunikationsstrukturen und eine vorausschauende Planung sind, um Menschenströme sicher zu lenken. Technologische Hilfsmittel wie Überwachungssysteme, Echtzeit-Analysen von Menschenmengen und streng koordinierte Zeitpläne könnten helfen, ähnliche Katastrophen in Zukunft zu verhindern.

Darüber hinaus macht die Tragödie deutlich, dass Sicherheitsmaßnahmen nicht nur auf Infrastruktur beschränkt sein dürfen. Aufklärung und Schulung der Teilnehmer über Verhaltensregeln in großen Menschenmengen sind ebenso entscheidend. Die Integration flexibler Notfallpläne, schnelle medizinische Versorgung vor Ort und eine bessere Abstimmung zwischen internationalen Delegationen und lokalen Behörden könnten dazu beitragen, das Risiko von Massenpaniken in Zukunft zu minimieren. Die Katastrophe in Mina dient somit als eindringliche Erinnerung an die Komplexität und Verantwortung, die mit der Organisation von Großveranstaltungen verbunden ist.

Fußnoten

  1. Hadsch-Pilgerfahrt: Die Hadsch ist eine der fünf Säulen des Islam und stellt die jährliche Pilgerreise nach Mekka dar, die Muslime einmal im Leben unter bestimmten Voraussetzungen unternehmen müssen. Sie umfasst verschiedene religiöse Rituale und findet im islamischen Monat Dhu al-Hidscha statt. ↩︎
  2. Die Associated Press (AP) ist eine internationale Nachrichtenagentur mit Sitz in den Vereinigten Staaten. Sie wurde 1846 gegründet und liefert Nachrichten in Echtzeit aus verschiedenen Bereichen wie Politik, Wirtschaft und Kultur. Die AP ist bekannt für ihre objektive, unvoreingenommene Berichterstattung und versorgt Medien weltweit mit Nachrichten. ↩︎
  3. Crowd-Management bezeichnet die Planung, Organisation und Steuerung von Menschenmengen, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, insbesondere bei großen Veranstaltungen wie Konzerten, Sportereignissen oder religiösen Pilgerreisen. Effektives Crowd-Management umfasst Strategien zur Vermeidung von Massenpaniken, zur Steuerung des Personenflusses und zur schnellen Reaktion im Falle von Notfällen. ↩︎

Quellen

[1] BBC News. „Saudi Arabia Hajj stampede kills over 700.“ Abgerufen am 5. Februar 2025, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-34357952

[2] Deutsche Welle. „Safety errors to blame for Hajj stampede.“ Abgerufen am 5. Februar 2025, https://www.dw.com/en/safety-errors-to-blame-for-hajj-stampede/a-18738143

[3] Associated Press. „Hajj stampede kills more than 700 people in Mina.“ , Jon Gambrell, Abgerufen am 5. Februar 2025, https://apnews.com/general-news-3a42a7733a8b476889bb4b7b3be3560e

[4] Wikipedia. „2015 Mina stampede.“ Abgerufen am 5. Februar 2025, https://en.wikipedia.org/wiki/2015_Mina_stampede#Aftermath

[5] Spiegel Online. „Massenpanik: So sollte man sich verhalten.“ , Holger Dambeck, Abgerufen am 5. Februar 2025, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/massenpanik-so-sollte-man-sich-verhalten-a-1111488.html

Luca Lanz

Luca Lanz studiert seit 2023 Physik an der Uni Hamburg.

Dieser Blog ist im Rahmen der Vorlesung „Anthropogene Unfälle“ entstanden.

Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn und Florian Mischke.

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