Resonanzkatastrophen führen zum Einsturz von Brücken: Reale Gefahr oder urbane Legende?

Der Begriff „Resonanz“ beschreibt eine Situation, in der ein System – wie ein schwingendes Pendel oder eine Brücke – durch eine äußere Kraft verstärkt wird, welche mit der Eigenfrequenz des Systems schwingt. Wenn diese Schwingungen durch die Verstärkung immer weiter anwachsen, kann das zur Zerstörung des Systems führen und es ist eine weit verbreitete Geschichte, dass man aus diesem Grund nicht im Gleichschritt über Brücken marschieren darf. Doch wie gefährlich ist dieses Phänomen wirklich für moderne Bauwerke?

In diesem Beitrag schauen wir uns die Grundlagen der Resonanz an, werfen einen Blick auf berühmte historische Beispiele von Brückeneinstürzen und diskutieren, ob solche Szenarien auch heute noch möglich sind.

Resonanz beim Federpendel – Wie das Schwingen beginnt

Resonanz lässt sich leicht am Beispiel eines Federpendels erklären. Ein solches Pendel hat eine bestimmte natürliche Schwingungsfrequenz, die „Eigenfrequenz“. Wird das Pendel durch eine äußere Kraft angeregt, die ebenfalls mit dieser Eigenfrequenz schwingt, verstärken sich die Bewegungen des Pendels immer mehr. Diesen Effekt nennt man Resonanz: Die Schwingungen nehmen so stark zu, dass das System im schlimmsten Fall zerstört werden kann [Den56].

Abbildung 1: Illustration eines Federpendels: Ein klassisches Pendel, das an einer Feder aufgehängt ist und harmonische Schwingungen ausführt. Quelle: Debenben (Creative Commons CC0 1.0)

Ein gedämpftes Federpendel (zum Beispiel durch Reibung) folgt der Differenzialgleichung:

Hier sind m, c und k Parameter, die Masse, Dämpfung und Rückstellkraft beschreiben, x die momentane Auslenkung und F0 die Amplitude der äußeren Kraft, die mit der Frequenz ω wirkt. Sobald die Anregungsfrequenz ω nahe der Eigenfrequenz ω0 = sqrt(k/m) liegt, erreicht das System seine maximale Amplitude (siehe Abbildung 1) [IC95]. Bei geringer Dämpfung könnte dies sogar eine ”Resonanzkatastrophe“ auslösen, bei der die Energieaufnahme so stark wird, dass das System nachgibt

Abbildung 2: Abhängigkeit der Amplitude von der Anregungsfrequenz ω Quelle: Eigene Abbildung

In Abbildung 1 wird die Amplitude der erzwungenen Schwingung in Abhängigkeit von der Frequenz der äußeren Kraft ω dargestellt. Die Darstellung verdeutlicht, wie die Amplitude bei Annäherung an die Eigenfrequenz ω0 stark ansteigt – das Resonanzphänomen.

Resonanz auf Brücken: Beispiele aus der Geschichte

Was passiert, wenn solche Resonanzphänomene bei einer Brücke auftreten? Einige berühmte Beispiele zeigen die beeindruckende Kraft der Resonanz – oder zumindest scheint es so…

Abbildung 3: Die Tacoma Narrow Bridge Quelle: The Tacoma Narrows Bridge Collapsing in 7 November 1940, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: Public Domain (gemeinfrei), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tacoma-narrows-bridge-collapse.jpg.

Der Präzedenzfall: Die Broughton Suspension Bridge

Einer der ersten dokumentierten Brückeneinstur durch „Resonanzkatastrophe“ ereignete sich 1831 auf der Broughton Suspension Bridge in England. Soldaten marschierten im Gleichschritt über die Brücke, und die synchronisierten Schritte erzeugten Schwingungen, die zum Versagen eines Brückenbauteils führten. Die Brücke stürzte teilweise ein. Dies wurde lange als reines Resonanzphänomen interpretiert. Allerdings versagte die Brücke wegen eines minderwertigen Bolzens, auf dem zu viel Gewicht lastete, nicht allein aufgrund der Resonanz. Als Konsequenz aus dem Vorfall wurde im Militär der Befehl eingeführt, dass Soldaten beim Überqueren von Brücken ihren Gleichschritt aufgeben sollen, um ähnliche Brückeneinstürze zu vermeiden [Smi31; Hop33].

Der Fall der Tacoma-Narrows-Brücke

Ein weiteres bekanntes Beispiele ist der Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke im Jahr 1940 (siehe Abbildung 3). Diese Katastrophe war jedoch kein klassischer Fall von Resonanz, sondern der Einsturz lag an aerodynamischen Kräften: Die Brücke begann bei starkem Wind, sich zu verdrehen – ein Phänomen, das als „Flattern“ bezeichnet wird. Dies führte dazu, dass die Struktur versagte und die Brücke einstürzte. Da der Wind eine konstante Kraft ausübte, keine rythmische, handelt es sich hierbei nicht um eine Resonanzkatastrophe. Die Ereignisse verdeutlichen aber, wie gefährlich Schwingungen für Bauwerke sein können [Eng40; BS91; Coa40].

London Millennium Bridge und das „Synchronizitätsphänomen“

Ein weiteres Beispiel, das ebenfalls oft mit Resonanz in Verbindung gebracht wird, ist die Londoner Millennium Bridge. Bei ihrer Eröffnung im Jahr 2000 begann die Brücke unter dem Gewicht der Menschen zu schwingen. Wegen einem Phänomen namens „Synchronizität“ kam es zur Resonanz: Fußgänger passten ihre Schritte unbewusst dem Rhythmus der Brücke an, wodurch die Schwingungen sich verstärkten. Um die Bewegung zu reduzieren, installierte man spezielle Dämpfungselemente, die die Schwingungen kontrollierten [Dal+01]. Es ist unklar, ob die Resonanz hätte zu einem Einsturz führen können.

Fazit: Realität oder urbane Legende?

Während historische Brückeneeinstürze auch mit Resonanzeffekten zu tun haben könnten, spielten in allen gut dokumentierten Fällen auch Konstruktionsfehler oder Materialmängel eine entscheidende Rolle. Dank fortschrittlicher Baumethoden, präziser Simulationen und gezielter Dämpfungssysteme ist das Risiko heute minimal [Ame20]. Eine echte Resonanzkatastrophe, bei der eine Brücke allein durch Schwingungen einstürzt, ist nicht belegt.

Dennoch bleibt Resonanz ein wichtiges Thema in der Bauingenieurwissenschaft. Es ist weniger ein reales physikalisches Phänomen – aber eines, das durch moderne Bautechnik beherrschbar ist.

Quellen

[Ame20] American Society of Civil Engineers. Modern Approaches to Bridge Resonance and Stability Control. Comprehensive review of modern techniques in controlling bridge resonance. ASCE Library, 2020.

[BS91] K. Y. Billah and R. H. Scanlan. “Resonance, Tacoma Narrows Bridge Failure, and Undergraduate Physics Textbooks”. in American Journal of Physics: 59.2 (1991). Detailed discussion of the physics of resonance in the Tacoma Narrows disaster and education implications., pages 118–124. url: https://pubs.aip.org/aapt/ajp/article-abstract/59/2/118/1053909/Resonance-Tacoma-Narrows-bridge-failure-and

[Coa40] Leonard Coatsworth. “Eyewitness Account of the Tacoma Narrows Collapse”. in Engineering-News-Record: (1940). Eyewitness description of resonance phenomena during the collapse. url: https://pubs.aip.org/physicstoday/article/68/11/64/414979

[Dal+01] P. Dallard andothers. “The London Millennium Footbridge”. in The Structural Engineer: 79.22 (2001). Study of the Millennium Bridge’s initial resonance issues and stabilization measures., pages 17–33.[Den56] J. P. Den Hartog. “Mechanical Vibrations”. in (1956): Foundational text on mechanical resonance and vibration control. url: https://researchcourse.pbworks.com/f/structural+engineering.pdf

[Eng40] Engineering-News-Record. “The Tacoma Narrows Disaster”. in Engineering-News-Record: (1940). Documented analysis of the Tacoma Narrows collapse and resonance causes. url: https://ej.aisc.org/index.php/engj/article/view/262

[Hop33] Alfred , Hopkinson. “The Mechanics of Resonance and Bridge Failure”. in Journal of Structural Engineering: 18 (1933). Study of resonance effects on bridge structures, including historical cases, pages 215–221.

[IC95] H. M. Irvine and T. K. Caughey. “The Linear Theory of Free and Forced Vibrations of Structures”. in Journal of Sound and Vibration: 81.4 (1995). Mathematical analysis of free and forced vibration relevant to resonance phenomena., pages 437–447. url: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0020768303002798

[Smi31] Charles Smith. Report on the Broughton Suspension Bridge Accident. Technical report on the structural failure of Broughton Bridge. Engineering Society of Manchester, 1831. url: https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=qIz1DAAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA99&dq=+Report+on+the+Broughton+Suspension+Bridge+Accident.+Technical+report+on+the+structural+failure+of+Broughton+Bridge.+Engineering+Society+of+Manchester,+1831&ots=RmmQ9koP7K&sig=fQWmgT-hHdrhpZv-78c8gpRYPD0#v=onepage&q&f=false

Björn Kirchhoff

Physik Masterstudent der Universität Hamburg

Ich habe meinen Bachelor in Physik mit einem Fokus auf biomedizinische Physik absolviert und meine Abschlussarbeit in einer entsprechenden Forschungsgruppe geschrieben. Derzeit studiere ich im Master Physik an der Universität Hamburg und interessiere mich besonders für interdisziplinäre Ansätze in der Physik.

Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn und Florian Mischke.

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