Phillips-Desaster 1989

Am 23. Oktober 1989 ereigneten sich im Houston Chemical Complex der Firma Phillips 66 in Pasadena, Texas eine Reihe von Explosionen, welche auf menschengemachte Fehlhandlungen und den Verzicht auf Einhaltung von Standards und Sicherheitsvorkehrungen zurückzuführen sind.

Der Unfall:

Der Unfall ereignete sich bei Wartungsarbeiten in einem Werk, in dem Polyethylen (PE) hergestellt wurde, dem Werk 5. Bei der Herstellung von PE werden Gase in langen Rohrleitungen zur Reaktion gebracht. Dabei entstehen Polyethylenpartikel, die sich in mehreren abgehenden Leitungen (Absetzsträngen) am unteren Ende der Rohrverbindungen sammeln und über Entnahmeventile für den weiteren Prozess entnommen werden können. Am oberen Ende jedes Absetzstranges befindet sich ein Kugelhahn, der im Normalbetrieb der Anlage geöffnet ist und somit den Eintritt der Polyethylenpartikel in den Absetzstrang ermöglicht (siehe Abbildung 2). Es kommt regelmäßig vor, dass das Material die Absetzstränge verstopfen. Um diese Verstopfungen zu beseitigen, wird das Ventil am oberen Ende des Absetzstranges geschlossen und die entsprechenden Komponenten ausgebaut, gereinigt und anschließend wieder eingebaut. Während dieses Vorgangs bleibt der Reaktor in Betrieb und der Absetzvorgang findet in den anderen, nicht verstopften Absetzsträngen statt [2, S.5 & S.10].

Bild des Ventils

Abbildung 1: Typischer Aufbau eines Absetzstranges. Oben ist eine Rohrverbindung des Reaktors zu sehen, in welcher die Gase zur Reaktion gebracht werden. Darunter befindet sich ein Kugelhahn der Marke DEMCO, mit welchem der Absetzstrang (darunter angebracht) vom restlichen Reaktor getrennt werden kann. Quelle: U.S. Department of Labor: „Phillips 66 Company Huston Chemical Complex Explosion and Fire”, Seite 8

Im Rahmen solcher Wartungsarbeiten wurden drei der sechs Absetzstränge des Reaktors 6 im Werk 5 am 21. Oktober 1989 für die Reinigung vorbereitet. Zu diesem Zweck wurden nach Aussagen des Betriebspersonals die Ventile geschlossen, eine Verriegelung angebracht und die Druckluftschläuche, die die Ventile steuerten, abgeklemmt. Die eigentliche Wartung wurde erst in den darauffolgenden Tagen durchgeführt [4, S. 2]. Am Tag darauf führte ein externer Dienstleister die Reinigung am Absetzstrang 1 ohne Zwischenfälle durch [3, S. 21]. Der Dienstleister begann am 23. Oktober gegen 8:00 Uhr mit den Wartungsarbeiten am Absetzstrang 4. In einem ersten Reinigungsvorgang wurde nur ein Teil der Verstopfungen beseitigt [3, S. 21]. Zur Mittagszeit verließ das Personal der Wartungsfirma das Werk vorübergehend zur Mittagspause [3, S. 21]. Die Wartungsarbeiten am Absetzstrang 4 wurden nach dieser Mittagspause fortgesetzt. Aufgrund auftretender Schwierigkeiten wurde ein Mitarbeiter in den Kontrollraum geschickt, um Unterstützung durch das Phillips-Personal anzufordern [3, S. 21]. Zwischen 13:00 Uhr und 13:05 Uhr entwich plötzlich 99 % des in der Anlage vorhandenen Gases aus dem Ventil der Absetzleitung Nr. 4. Innerhalb von 90-120 Sekunden traf das ausströmende Gas auf eine nicht identifizierte Zündquelle und entzündet sich, was zur ersten Explosion führte [4, S. 3]. Einige Zeit später, gegen 13:20 Uhr kam es durch die Detonation eines Butan-Lagertanks zu einer weiteren Explosion [3, S. 22]. Ein weiterer Polyethylen-Reaktor explodierte in Werk 5 zwischen 13:30 Uhr und 13:50 Uhr [3, S. 22].

Die Stärke der erste Explosion entsprach der Detonation von 2,4 Tonnen TNT und verursachte eine Erschütterung, die einem Erdbeben der Stärke 3-4 auf der Richterskala entsprach [4, S. 2]. Ursache der Explosion war die schlagartige Freisetzung von ca. 38,5 Tonnen hochentzündlichem Ethylengas in die Umgebungsluft durch ein geöffnetes Ventil, das durch eine Zündquelle in weniger als zwei Minuten in Flammen gesetzt wurde [2, S. 10].

Bild der Explosion

Abbildung 2: Titelseite des US Department of Labor/OSHA Berichtes an den Präsidenten. Zu sehen ist der Feuerball, der durch eine der Explosionen im Houston Chemical Complex freigesetzt wurde. Quelle: Titelseite des Berichts des US-Arbeitsministeriums/OSHA an den Präsidenten vom April 1990


Ergebnisse der Unfalluntersuchungen:

Nachträgliche Untersuchungen ergaben folgende Mängel am Absetzstrang Nr. 4 [3, S. 22]:

  • Am Ventil des Absetzstranges war keine Verriegelung angebracht.
  • Die Druckluftschläuche zur Steuerung des Ventils hätten während der Wartungsarbeiten wieder angeschlossen werden können.
  • Die Anschlüsse für die Druckluftverbindung zum Öffnen und Schließen des Ventils waren identisch, so dass eine Verwechslung möglich war. Es ist denkbar, dass sich das Ventil in der offenen Position befand, als im Kontrollraum „geschlossen“ angezeigt wurde.
  • Die Luftzufuhr an den Druckluftschläuchen war offen, sodass ein angeschlossener Schlauch das Ventil bewegen konnte.

Außerdem wurde festgestellt, dass die Verriegelungsvorrichtung am Absetzstrang 4 entfernt und die Druckluftschläuche wieder angeschlossen wurden, bevor der Wartungsvorgang abgeschlossen war [4, S. 4].

Der genaue Ablauf der Ereignisse zwischen dem Beginn der Wartungsarbeiten am Absetzstrang 4 gegen 08:00 Uhr und der Freisetzung von Gasen in die Umgebungsluft sowie der anschließenden Serie von Explosionen gegen 13:00 Uhr kann nicht abschließend rekonstruiert werden, da die Befragungen der beteiligten Personen widersprüchlich oder wegen des Todes nicht möglich waren [4, S. 4].

Schlussfolgerung:

Durch die Reihe von Explosionen, wurden 23 Menschen getötet und 130 bis 300 weitere verletzt [1]. Zwei Produktionsgebäude wurden vollständig zerstört und es entstand ein Gesamtschaden von etwa 750 Millionen US-Dollar [2, S. 1].

Unabhängig vom genauen Ablauf der katastrophalen Ereignisse kann festgestellt werden, dass das Wartungsverfahren von Phillips 66 im Houston Chemical Complex nicht den Standards entsprach. Die Absicherung durch ein einzelnes Ventil ist normalerweise nicht ausreichend. Stattdessen hätte eine doppelte Ventilabsicherung oder die Verwendung eines Blindflansches den Unfall wahrscheinlich verhindern können [4, S. 6].


[1]: Health and Safety Executive (HSE): „Phillips 66, Pasadena, USA. 23rd October 1989”, online abrufbar unter https://www.hse.gov.uk/comah/sragtech/casepasadena89.htm

[2]: Dole, Elizabeth, U.S. Department of Labor: „Phillips 66 Company Huston Chemical Complex Explosion and Fire”, Kapitel 1-3, 1990, online abrufbar unter http://ncsp.tamu.edu/reports/phillips/chp1-3.pdf

[3]: Dole, Elizabeth
, U.S. Department of Labor: „Phillips 66 Company Huston Chemical Complex Explosion and Fire”, Kapitel 4-10, 1990, online abrufbar unter http://ncsp.tamu.edu/reports/phillips/chp4-10.pdf

[4]: Bethea, Robert M., Chemical Engineering Department Texas Tech University: „ EXPLOSION AND FIRE AT THE PHILLIPS COMPANY HOUSTON CHEMICAL COMPLEX, PASADENA, TX”, online abrufbar unter https://web.archive.org/web/20071130205701/http://www.mpri.lsu.edu/workshop/SACHE%20Text.pdf

Tim Runge

Tim Runge studiert seit 2021 Physik an der Universität Berlin und der Universität Hamburg und besuchte im Wintersemester 2024/25 das Seminar Anthropogene Unfälle in der Physik.

Dieser Beitrag wurde redaktionell überarbeitet von Andrea Thorn und Florian Mischke.

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